Ich sah als junger Mensch eine Ausstellung von Michael Croissant in der Galerie Appel und Fertsch in Frankfurt am Main.
Tief berührt besuchte ich mehrfach die Ausstellung. Es wurde mir gesagt, dass Croissant Professor an der Städelschule ist. Im Zustand innerster Ergriffenheit durch die Werke Croissants habe ich meinen ganzen Mut zusammen genommen und um die Aufnahme in seine Klasse gebeten. Die gewährte er mir sofort. So begann für mich eine meine Kunst und Leben prägende Erfahrung.
Michael Croissants wirkliche Freundlichkeit und sein eigenes nicht rastendes Hinterfragen und Suchen haben mir Mut gemacht, meinen eigenen Weg zu gehen.
In der Klasse
Zu meiner Studienzeit (1976-82) stellte Croissant gewöhnlich eine Semesteraufgabe.
Z.B. Aktmodellieren nach Modell, Entwicklungen von plastischen Körpern aus flächigen Elementen etc. Für diese Aufgaben war der Vormittag vorbehalten. Der übrige Tag galt der selbst beauftragten Arbeit. Er äußerte mehrfach seine Zweifel, an den von ihm gestellten Aufgaben, schätzte sie aber letztlich doch für wahrscheinlich sinnvoll ein. Die Arbeit an der Aktfigur sah er z.B. als überholt an, gleichzeitig war er davon überzeugt, dass sich in der Auseinandersetzung mit der menschlichen Figur am besten ein Gefühl für komplexe organische Zusammenhänge entwickeln lässt.
Es kam vor, das Michael Croissant die Frage stellte, ob er an der in Arbeit befindlichen
Ton-Figur eine Korrektur vornehmen dürfe. Die Frage bezog sich vielleicht nur auf eine bestimmte Stelle, die er praktisch eingreifend ändern wollte. Ich denke das kam nicht oft vor. Aber wenn es vorkam, war es nicht ungewöhnlich, dass seine Maßnahme ziemlich bald zu einer Totalüberholung der studentischen Arbeit geriet. In seiner spontanen Performance dienten lose im Atelier umherliegende Bretter oder Sessellehnen als Modellierhölzer und Spachteln wurden zu Messern die ganze Figurenbereiche radikal abschnitten. Ich erinnere eine solche Operation an der eigenen Arbeit als erschütternd aber nicht verletzend.
Michael Croissants Korrekturen waren für mich als Student nicht immer leicht verständlich. Es gab Situationen in denen wir Schüler gemeinsam darüber rätselten, wie die Arbeitskritik zu verstehen sei. Er gab durchaus formale Korrekturen – nicht erinnern kann ich mich aber an formalistische Kriterien, dogmatisierende Theoriebildung oder gar allgemeingültige Produktionsrezepte. Seine Kritik galt dem einzelnen Werk, berücksichtigte das künstlerisches Vorgehen und die Haltung, die zu der jeweiligen Arbeit geführt hatten, – inklusive seiner eigenen Fehlbarkeit in seinem Urteil.
Ich erlebte ihn als offen für verschiedene Auffassungen. Die Vielfalt der Standpunkte seiner Schüler, – die ja nicht nur in den Bereichen der klassischen Bildhauerei arbeiten, sondern z.B. auch auf den Feldern Performance, Land Art oder Malerei ihr Werk mit Erfolg realisieren, kann dies belegen. Ich erinnere mich aber auch an eine Situation in der Michael Croissant einem Studenten einen Lehrer-Wechsel nahe gelegt hat. Bemerkenswert ist mir seine Begründung erschienen: Croissant sah sich nicht in der Lage die Wünsche des Schülers zu erfüllen, sie waren ihm zu sehr gegen sein eigenes Kunstverständnis gerichtet. Croissant sprach von einem Personen bezogenen Lehren und Lernen, mit Hinweis auf die eigene Studienzeit. Er empfahl einen Lehrer dessen eigene Auffassung den Bedürfnissen des Schülers mehr entsprachen als die seine.
Michael Croissant arbeitete selbst täglich in seinem Atelier in der Städelschule. Gelegentlich, meist kurz bevor er zum Mittagessen nach Hause ging, schaute er bei uns Studenten vorbei.
Gut erinnere ich mich an die Diskussionen mit ihm. Dabei blieb nichts übrig von meinen Auffassungen, er zerlegte jede Vorstellung. Seine Zweifel waren fundamental. Er nahm sich selbst nicht aus. Michael Croissants eigene Zweifel waren seine treuen Weggefährten auf seiner Suche nach einer schönen Plastik, – die er meiner Erinnerung nach niemals mit dem Wort absolut bezeichnet hat.
Seine Aufmerksamkeit richtete sich auf den Vorgang des Gelingens oder Misslingens einer Arbeit. Die Suche nach einem gelungenen Werk verstand er als notwendig und zwecklos. Croissant war überzeugt, dass es einem letztendlich zufiel, also dass bewusste Vorgaben nur relativ bedingt über ein miss- oder gelingen einer Arbeit entscheiden.
In dem gelungenen Werk vereinten sich für Ihn Konzeption, Emotion und Handwerk organisch und selbstverständlich zu einem inneren und äußeren Schönen.
An eine individuelle Entwicklungsmöglichkeit zu immer schöneren oder besseren Arbeiten glaubte Michael Croissant nicht. Üben und Arbeiten waren für Ihn die Voraussetzung dafür, dass sich ein Gelingen ergeben kann.
Im Liebighaus
Michael Croissants äußerte noch Jahre nach seiner Lehrtätigkeit sein Erstaunen über die „blinden“ Studenten, die vor den schönsten Plastiken standen ohne deren Schönheit zu sehen. Sein Bedauern, das Schöne nicht durch Worte hinreichend sichtbar werden zu lassen. (– Was ich immer deutlicher auch von mir selbst sagen kann.)
Im Auto
In den Gesprächen argumentierte Croissant immer wieder mit Werkbeispielen aus allen Kulturzeiten und Regionen. So kam es vor, dass er beim Lenken des Fahrzeugs (kein Automatikgetriebe), in ungebremster Fahrt die Linienführung oder die plastische Entwicklung eines Werkes, mit den ihm eigenen charakteristischen Handbewegungen in die Luft zeichnete – mit unter auch im dichten Stadtverkehr.
Im Elch
Croissant war großzügig. A.W., einige Semester über mir, ein Hüne von Mann, ich erinnere starke Machosprüche, betrat zu unser aller Erstaunen das Atelier mit sauerstoffblondierten, dauergewellten Haaren. Es wurde deutlich, das A. sich in seiner neuen Stammkneipe in einen Transvestiten verliebt hatte. A. litt. Michael Croissant regte einen Klassenausflug in den „Elch“, dem Travestielokal Frankfurts an und lud uns alle ein.
In einem Atelier der Croissant Klasse in der Städelschule:
Auf einem Foto sah ich später die wohl aus den 68er Jahren stammenden, wahrscheinlich von seinen Studenten an die Atelierwand geschriebenen Sätze.
„Kunst kommt – Kunst geht“ und „Kunst geht hervor aus der Objektivität der Materie“.
Bernd Fischer
Offenbach am Main, Mai – Juni 2008
Die Zeilen habe ich auf Wunsch von Inge Schmidt und Ann Reder für den Ausstellungskatalog MICHAEL CROISSANT und seine Schüler verfasst:
FISCHER, Bernd, und andere, 2008. Als Student bei Michael Croissant, Erfahrungen von Bernd Fischer. In: Herbert Dellwig, Hrsg. Michael Croissant und seine Schüler. Speyer, Pilger-Verlag, S.24-25, ISBN: 978-3-87637-093-4 Kunstverein Speyer