Gedenktafel für die Opfer rassistisch oder politisch begründeter Doktorgradentziehungen
Abbildung: Die Gedenktafel im Hauptgebäude der Justus-Liebig-Universität
» Ludwigstraße 23, Gießen
In der Zeit des Nationalsozialismus hat die Universität Gießen (Ludoviciana) 49 Akademikern aus politischen oder rassischen Gründen den Doktorgrad entzogen bzw. vorenthalten. Die Justus-Liebig-Universität hat diese Opfer im Jahre 2006 öffentlich rehabilitiert. In zwei Fällen verlieh die Universität Gießen posthum den Doktorgrad, der nach erfolgreich abgeschlossenem Promotionsverfahren während des NS-Regimes nicht erteilt worden war. Forschungen zu den Hintergründen der Doktorgradentziehung ergaben auch, dass die Universität im Dritten Reich nicht zwangsläufig hätte Doktorgradentziehungen vollziehen müssen. Der Protest des Professors der Evangelischen Theologie, Gustav Krüger, verweist auf alternative Handlungsmöglichkeiten. Die Justus-Liebig-Universität sah in diesem Befund die Gelegenheit, öffentlichkeitswirksam die Opfer von politisch und rassisch begründeten Doktorgradentziehungen zu rehabilitieren und zugleich an die mit der akademischen Freiheit verknüpften Verantwortung und Aufgabe der Mitglieder einer wissenschaftlichen Institution zu erinnern. Damit war die Aufgabenstellung formuliert: Es galt, Rehabilitierung und Zivilcourage aufeinander zu beziehen.
Aufgabenstellung
Dr. Michael Breitbach, Kanzler der Universität Gießen, hat die Gedenktafel für Julius Flörsheim gesehen. Er beauftragt mich, für die Universität eine im Aufbau verwandte Tafel zu konzipieren, zu gestalten und auszuführen. Die oben genannten Anliegen müssen inhaltlich prägnant gefasst und sinnlich angemessen dargestellt werden.
Gedenktafel Text
Die Doktorwürde ist geprägt von wissenschaftlichem
Rang und ethischer Verantwortung.
Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gab es
die Gesetzesgrundlage, im Zuge von Strafverfahren
den Doktorgrad zu entziehen.
Das nationalsozialistische Regime brach
mit dieser rechtsstaatlichen Tradition und betrieb die
Aberkennung von Doktorgraden aus rassischen
und politischen Motiven.
Der Universitätssenat erklärte 1967 die
während der nationalsozialistischen
Diktatur in Gießen ausgesprochenen
Doktorgradentziehungen für nichtig von
Anfang an.
Die Universität verlieh 2006 in zwei Fällen
posthum den vorenthaltenen Doktorgrad.
Die Universitäten waren nicht – wie immer wieder gesagt
worden ist – bloße Objekte und als solche in ein ihnen
grundsätzlich fernes und fremdes Unheil verstrickt.
Vielmehr waren sie selbst ein Element des Unrechtssystems
und trugen das Ihre zu dessen Wirksamkeit und Dauer bei.
In einer Ansprache vor dem Senat der Universität Gießen verzichtete der Kirchenhistoriker
Professor Gustav Krüger am 14. Juni 1933 auf seine weitere Mitarbeit im Senat.
Er begründete seinen Entschluss mit der Unterbindung der akademischen Freiheit durch
das nationalsozialistische Regime: „Ich verlasse diesen Saal, in dem ich über 40 Jahre an
der Selbstverwaltung unserer Alma Mater mitgewirkt habe. Ich verlasse ihn mit den Worten
profiteor, professor sum, profitebor“. – Ihn trafen keine Strafmaßnahmen.
Dr. Erich Alexander
Dr. Richard Aninger
Dr. Max Baumgart
Dr. Karl Becht (posthum)
Dr. Fritz Bernius
Dr. Gustav Birkmann
(posthum)
Dr. Felix Cahn
Dr. Karl Dahl
Dr. Alfred Dang
Dr. Hans Ebeling
Dr. Ludwig Ehrmann
Dr. Walter Eisen
Dr. Theodor Engel
Dr. Erich Escher
Dr. Walter Fabian
Dr. Heinrich Flachsbarth
Dr. Rudolf Frank
Dr. Eugen Goldberg
Dr. Walter Gottschalk
Dr. Walter von Hahn
Dr. Heinrich Hanau
Dr. Leo Hirschland
Dr. Hermann Holzer
Dr. Ernst Israel
Dr. Werner Joseph
Prof. Dr. Ernst Paul Kahle
Dr. Max Katten
Dr. Moritz Katz
Dr. Theodor Keller
Dr. Siegfried Klein
Dr. Hans Marcuse
Dr. Ferdinand Meyer
Dr. Ernst Morgenroth
Dr. Walter Oppenheimer
Dr. Joachim Prinz
Dr. Friedrich Quack
Dr. Felix Röttgen
Dr. Paul Rosenbaum
Dr. Walter Schirren
Dr. Johannes Schneider
Dr. Joseph Straeter
Dr. Hugo Strauss
Dr. Frieda Vogel
Dr. Franz Wasiak
Dr. Julius Weinberg
Dr. Gustav Wendel
Dr. Walter Zabolitzky
Konzeption und Gestaltung der Gedenktafel: Bernd Fischer, www.fischerkuenstler.de
Abbildung: Heinrich Wilhelm Kranz (erster von rechts) als Rektor in Talar und Rektorenkette mit Vertretern des NS-Regimes bei einer Universitätsfeier (1940), Foto: Justus-Liebig-Universität. Verwendete Textquellen: Uni-Forum Nr.1/16.02.2006
Künstlerische Lösung
Die Entscheidung für ein transparentes Trägermaterial ermöglicht die Darstellung der Inhalte auf verschiedenen Ebenen. So kann der komplexe Inhalt verständlicher strukturiert und ein differenziertes Wechselspiel der zwei Schwerpunkte (Rehabilitierung, Zivilcourage) gestaltet werden. Der geschaffene Glasverbund besteht aus drei Scheiben. Es ist eine sichtbare und spürbare räumliche Tiefe entstanden, die ihre Parallele in den thematisierten Zeiträumen findet.
Technische Angaben
Glasverbund aus 3 Sicherheitsglasscheiben
Keramische Glasmalfarben, Siebdruck
60 x 142 cm
Freistehend vor der Wand montiert
Auftraggeber: Universität Gießen
Text- und Fotovorgabe: Auftraggeber
Gestaltung: Bernd Fischer, Offenbach/Main
Fertigstellung: 2008