Niederschrift der Rede, die Pfarrer Martin Benn am 10. März 2005 während der Übergabefeier in der Brüder-Grimm-Schule hielt.
Der Künstler Bernd Fischer, er hat zum einen die Aufgabe, dem, was benennbar ist, was historisches Faktum ist, eine Form zu geben, und zum anderen, dem Ausdruck zu geben, was in Worten kaum zu fassen ist: Der Tod von Julius Flörsheim, die Ermordung durch die Nationalsozialisten mit all’ den Umständen der Zeit.
Die Aufgabe des Künstlers war also, in zweifacher Weise sichtbar, erkennbar, unvergesslich zu machen, was nicht vergessen werden darf; dem eine äußere Form zu geben; und zum anderen den Betrachtenden, also uns, dazu zu bringen, Geschehenes zu verinnerlichen, damit wir im Gedenken und in unserem Handeln aus der Erinnerung heraus etwas lernen und entsprechend handeln.
Um aufzuzeigen, dass hier einen ausgesprochen gute Form von Geschichtsverständnis und Kunstverständnis ineinander geflossen ist, möchte ich Ihnen die Biographie Bernd Fischers und seine Arbeiten vorstellen.
Bernd Fischer ist 1954 in Offenbach am Main geboren. Er studierte an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach am Main und hat von dort den Abschluss als Designer für Visuelle Kommunikation. Ungefähr gleichzeitig, von 1976 bis 1982, studierte er an der Städelschen Hochschule für Bildende Künste in Frankfurt am Main Bildhauerei. 1984 startet eine vielfältige Ausstellungstätigkeit und 1995 beginnt eine Lehrtätigkeit als Kursleiter der Städelschule.
Wichtige Arbeiten von ihm befinden sich in den verschiedensten Sammlungen, z.B. im Museum Würth, im Bundesministerium für Gesundheit in Berlin, der Stadt Frankfurt am Main, der Ev. Akademie in Arnoldshain, der Deutschen Bank, der Schweizer Bank Credit Suisse, dem Volkswagenwerk und ganz vielen anderen. Das nenne ich, um Ihnen zu zeigen, dass es Ihnen gelungen ist, für Ihre Aufgabe einen Künstler von Rang zu gewinnen.
Als Drittes möchte ich nennen: Bernd Fischer ist durch seine, relativ seltene, Ausbildung als Maler, Bildhauer und Designer schon von diesen miteinander verwobenen Bereichen der Kunst her prädestiniert, Dinge zu schaffen, die sowohl einem künstlerischen Anspruch als auch einem ästhetisch-formalen Anspruch genügen müssen, so wie diese Gedenktafel.
So gestaltete er viele Preistafeln, z.B. den ersten Innovationspreis der Wirtschaft, den Arbeitsplatzinvestorpreis, eine Gedenktafel in einer anderen Schule hier in Frankfurt 2002, in der Georg-Büchner-Schule, zum Thema „Gedenken an eine durch die Nationalsozialisten ermordete Schülerin“. Ein nicht unwesentlicher Punkt ist, das werde ich Ihnen gleich erklären: 2004 realisierte er eine große Arbeit auf Glas, sammelt erste Erfahrungen mit diesem Medium und heute hier weihen wir eine weitere Arbeit ein, die auf Glas entstanden ist.
Was ist das grundsätzliche Thema dieses Künstlers Bernd Fischer? Sein Thema ist der Mensch.
Zuerst sind figürliche Bilder entstanden, später Astronautenbilder. Spätestens hier wird etwas deutlich, was auch für die Gestaltung hier entscheidend ist. Der Künstler Bernd Fischer versucht etwas deutlich zu machen, etwas Gestalt zu geben, was zwar da ist, aber was in Vergessenheit zu geraten scheint, was aus dem Blick geraten ist, was nicht zu sehen ist. Er versucht in Sphären, in Momente, in Orte des Lebens, des Menschen einzudringen, die uns normalerweise zu entgleiten drohen.
Nach den Astronautenbildern gibt es Arbeiten zu den Sinnesorganen der Menschen. Danach und bis heute formt er Kunstwerke, die mit Röntgenbildern arbeiten; mit denen er den Menschen auf den Grund geht, Innenwelten sichtbar macht, entfremdet, Mensch neu erfahrbar macht.
Wie arbeitet er? Ein ganz entscheidendes, bildnerisches Mittel ist für ihn der Siebdruck. Er ermöglicht Bernd Fischer, Bilder zu schaffen, die durchlässig sind. Denn die Felder zwischen dem Sieb sind frei. Und sie lassen durchblicken. Dies ermöglicht dem Künstler, verschiedene Bildebenen hintereinander und übereinander erscheinen zu lassen. Mehrdimensionale Bilder entstehen. In den freien Arbeiten von Bernd Fischer ist es manchmal der sehr geplante bildnerische Zufall, der seine Arbeiten genial erscheinen lässt. Bei den Auftragsarbeiten wie hier zeichnen ihn zwei Dinge besonders aus, die ihm wieder ausgesprochen gut gelungen sind. Einmal eine sehr scharfe Analyse dessen, was es in der Form zu geben gilt. Die Geschichte Julius Flörsheims, die Geschichte der Menschen um ihn herum, seiner Mörder, aber auch derer, die ihm geholfen haben. Und zweitens ist es Bernd Fischer gelungen, eine sehr präzise Gestaltung zu verwirklichen.
So ist ihm nicht nur eine Gedenktafel gelungen, das möchte ich ganz besonders betonen, es ist hier keine Gedenktafel in meinen Augen entstanden, sondern ein Kunstwerk, was sehr viel mehr darstellt und hervorruft und erweckt, beim Betrachtenden als das, was es zeigt.
Wie sieht das Kunstwerk aus?
Ich denke, nicht alle von Ihnen haben es gesehen. Ich will es kurz beschreiben und zeigen, wie es entstanden ist, weil genau die Arbeit, die Bernd Fischer grundsätzlich macht, auch hier eine sehr gute Fortführung findet.
Das Kunstwerk besteht aus zwei Glasscheiben. Jede Scheibe steht für eine geschichtliche Zeitachse. Auf der hinteren ist mit Siebdruck ein Foto mit KZ-Häftlingen aufgedruckt. Auf der Mitte des Bildes sind biographische Daten von Julius Flörsheim gedruckt und diese biographischen Daten sind noch durchflutet von einer zweiten Druckebene von Dokumenten aus dieser Zeit, die seine Entlassung aus dem Schuldienst dokumentieren oder vorangetrieben haben. Die Geschichte des Ermordeten wird gezeigt in dem Umfeld, das seine Geschichte vorangetrieben hat und wo sie zu Ende gegangen ist.
Die zweite Glasscheibe, die zu sehen ist, ist auf die erste unsichtbar aufgeklebt. Auf dieser Scheibe liest man Zitate der Schülerinnen und Schüler der Geschichts-AG „Spurensuche“ dieser Schule, die deutlich machen, was sie aus dieser Geschichte gelernt haben und was sie bewahren möchten für die Zukunft. Die zweite Glasscheibe steht also für die Gegenwart. Die Schülerinnen und Schüler sprechen für uns alle. So sind zwei Zeitebenen direkt aufeinander gebracht, Vergangenheit und Gegenwart untrennbar verbunden. Lassen Sie mich kurz sagen, wie ich Geschichte verstehe und dann noch einmal auf die Arbeit Bernd Fischers zurückkommen. Geschichte ist für mich kein lineares Geschehen. Jetzt ist das, dann ist das, später ist das. So verstehen wir es oft im Alltag. Geschichte ist immer auch ein Nebeneinander. Es gibt ganz viele Stränge im Jetzt. Es gab die Mörder, es gab Julius Flörsheim, es gab diejenigen, die ihm geholfen haben. Das ist eine Achse. Geschichte ist aber auch wie ein Gewebe. Es gibt auch das Nacheinander. Es gibt auch das Heute. Also immer nach vorne gerichtet und auf die Zukunft hin, ein in sich verschränktes Zeitgewebe, fast wie der Siebdruck von Bernd Fischer. Bernd Fischer ist es gelungen, präzise und durchdacht und mit einer ästhetischen Punktlandung diese geschichtliche Verwobenheit durch seine Arbeit, diese geschichtliche Verwobenheit von Gegenwart und Vergangenheit gestalterisch umzusetzen.
Die Biographie, um die es hier geht, ist dargestellt im Kontext ihrer Geschichte und im darauf zulaufen der Gegenwart. Dem Künstler gelingt es erfahrbar zu machen, dass kein Leben, keines von uns für sich alleine steht. Wir sind immer Teil des Gewebes. Wir alle stehen in dieser geschichtlichen Verbindung zu Julius Flörsheim, zu seinen Helfern und auch zu seinen Mördern. Das dürfen wir nicht vergessen, wenn wir dem Andenken des Verstorbenen und uns gerecht werden wollen.
Ich denke hier in der Brüder-Grimm-Schule ist etwas Besonderes gelungen. Einmal, dass mit sehr viel Initiative ein wichtiges geschichtliches Geschehnis nicht in Vergessenheit gerät. Es ist hier ein Ort geschaffen, an dem dies dokumentiert wird und für die Nachwelt erfahrbar werden soll. Es wird nicht nur ein Gedenken sein, es wird ein Kunstwerk sein, das immer auf die Zukunft, auf das Erinnern gerichtet ist. Von daher ist für mich eine wunderbare Symbiose gelungen. Menschen-Geschichte, die ich als Gewebe vorgestellt habe, hat ein Künstler umgesetzt, der von sich aus
a. immer den Menschen in den Mittelpunkt seiner Arbeit stellt,
b. durch den Siebdruck die Möglichkeit hat, die Verwebung von verschiedenen Ebenen des Menschseins zu kreieren.
Von daher kann ich nur gratulieren, Bernd Fischer ausgesucht zu haben. Ich kenne kaum einen Zweiten, der es so gut geschafft hätte, dem Gegenstand, um den es geht, das Erinnern der Vergangenheit und die Zukunft miteinander verbindend, gestalterisch Form zu geben.
So ist allen zu danken, die dazu beigetragen haben, dass dieses Kunstwerk zum Gedenken zustande gekommen ist.
Besonders möchte ich Bernd Fischer danken, der es für uns alle geschaffen hat, auf einen Blick zu zeigen, wo wir innerhalb dieser Geschichte unseren Platz haben und wofür es für uns alle in Zukunft einzugestehen gilt.