– anschauen – Tafelmalerei – Glasmalerei – Arbeiten auf Papier – Video
Rede zur Ausstellungseröffnung am 9. September 2006 in der Galerie König, Hanau
Stellen Sie sich vor, Sie besuchen das Affenhaus im Zoo. Dort sitzt ein Gorilla in seinem Käfig und beobachtet Sie interessiert. Außerhalb Ihres und auch des Gorillas Blickfelds – nähert sich von der Seite der Wärter mit Bananen in der Hand. Während Sie und der Gorilla sich noch anschauen, wird der Affe schon die Bananen „sehen“, noch bevor er seinen Blick dem Pfleger zuwendet.
Anhand von Experimenten mit Menschenaffen konnte eine Studie belegen, dass Primaten, sobald ihre Aufmerksamkeit angeregt wird, Dinge bereits sehen (wahrnehmen) können, auch wenn diese noch außerhalb ihres Blickfeldes liegen. Als „Lupe im Kopf“ werden diese neuesten Ergebnisse der Hirnforschung, die sich genau damit beschäftigt, wie Aufmerksamkeit die Sinne bzw. den Sehsinn anregt und stärkt, bezeichnet.
Die Fähigkeit der Lupe im Kopf hat auch der Mensch, obwohl wir nur einen Bruchteil der visuellen Informationen, die auf unsere Netzhaut fallen, bewusst wahrnehmen. Aber wenn etwas unsere Aufmerksamkeit fordert, wird auch die Sinnes-Wahrnehmung in diesem Bereich fokussiert. Noch bevor die Blickrichtung gewechselt wird, sorgen auch beim Menschen so genannte Mechanismen der Aufmerksamkeitssteuerung für eine Schärfung unsers Sehsinnes – deshalb können wir zum Beispiel beim Autofahren Straßenschilder am Rande unseres Blickfeldes erkennen.
Vielleicht fragen Sie sich, warum ich Ihnen etwas vom Affen und dessen Sehschärfe erzähle und was dies mit Kunst im Allgemeinen und mit den Arbeiten von Bernd Fischer im Besonderen zu tun haben könnte?
Nun – Kunst sollte idealerweise unsere Aufmerksamkeit erregen und die Sinne schärfen, sie sollte uns Dinge außerhalb des Üblich – Sichtbaren verstehen lassen. Die Arbeiten von Bernd Fischer tun genau dies auf eine nachdrückliche und durchdachte Weise.
Betrachten Sie zum Beispiel die kleine Serie von Affenbildern. Versuchen Sie Ihren Blick auf nur ein Bild zu fokussieren. Wahrscheinlich fällt es Ihnen schwer, das vorhandene figurative Motiv zu erkennen. Zugleich werden Sie feststellen, dass sich die daneben hängenden Varianten des Bilds immer mit in Ihr Bewusstsein drängen; alle zusammen ergeben eine Vorstellung der in der Farbe verborgenen Figuration.
O.T. (150)
2006
Gedruckte und gemalte Farbe
auf Holz
26 x 19,5 cm
Bernd Fischers Themen reichen von figurativen Umsetzungen literarischer und geschichtlicher Motive in den 80ern über abstrakte Farbkompositionen mit eingearbeiteten Röntgenmotiven, Bildern mit menschlichen Sinnesorganen und Serien modulierter Portraits bis zu den aktuellen Farbkompositionen. Ebenso variationsreich sind Techniken und Trägermaterialien: Malerei, Fotografie, Siebdruck oder Plastisches finden sich auf Leinwand, Papier, Pappe, Sperrholz und Glas. Die Vielschichtigkeit ist zugleich Programm in der Bildgestaltung, wo Farbe in zahlreichen Ebenen übereinander gesetzt den Bildraum vertieft oder hintereinander gestaffelte Glasscheiben Bildräume entstehen lassen.
Inhaltlich befasst sich der Künstler mit elementaren Gestaltungsfragen aktueller Kunst: Wie lässt sich heute Figuration adäquat in der zeitgenössischen Kunst umsetzen? Wie kann Dreidimensionalität im zweidimensionalen Bild dargestellt werden. Daraus ergeben sich Fragen nach der erkenntnistheoretischen Wahrnehmung von Kunst und Wirklichkeit: Was liegt hinter dem Sichtbaren, unter der Oberfläche? Dies führt schließlich zu existenziellen Überlegungen, wie das Wesen des Menschen in der Kunst sichtbar zu machen sei.
Der Mensch war und ist figuratives wie geistiges Leitmotiv, das sich in den meisten Arbeiten Fischers mal ganz konkret, mal fast vollständig in der Abstraktion aufgelöst wieder finden lässt.
Bernd Fischer absolvierte die Fächer Diplomdesign und visuelle Kommunikation an der Fachhochschule für Gestaltung in Offenbach. Parallel studierte er an der Städelschule zunächst Bildhauerei bei Michael Croissant, wechselte aber bald vom plastischen ins malerische Fach.
Köpfe, Vögel, menschliche Gestalten in asymmetrischen Bildräumen – die Figur und ihr Verhältnis zum Raum – Grundfragen der Bildhauerei – blieben auch in der Malerei Fischers das Hauptthema.
Mitte der 80er Jahre entstanden – angeregt durch die ersten Lifeübertragungen von frei schwebenden Menschen im All – die „Astronautenbilder“.
Fischer erschienen die gerasterten Fernsehbilder als ideale Metapher des Modernen Menschen. Der Astronaut, in einem technoiden Anzug seiner Individualität beraubt, überschreitet die natürlichen Grenzen des menschlichen Lebensbereiches und sucht neue Dimensionen zu erobern. Den Gegenpart bilden Darstellungen des Bergmann aus Falun (inspiriert durch eine Erzählung von ETA Hoffmann) – eines Menschen, der ins Erdinnere vordringt und sich dort verirrt.
In beiden Arbeiten werden extreme räumliche Situationen, in denen Menschen großer Isolation ausgesetzt sind und auf sich selbst zurückgeworfen werden, durch die Gegenüberstellung von Figuration und farblicher Abstraktion thematisiert.
Es sind verborgene, nicht frei zugänglichen Welten, die Bernd Fischer hier und auch später faszinieren und ihn schließlich zur Frage führten, was im Inneren des Menschen verborgen liegt. Es ist zugleich der Versuch eine aktuelle bildnerische Umsetzung für die – wie Fischer es bezeichnet- IKONE Mensch (Ikone Nachempfinden eines Urbildes) zu finden, eine spirituelle, für unsere Zeit gültige Form des Menschenabbilds.
Die Tafelmalerei
Besonders charakteristisch für Bernd Fischers komplexes Kunstverständnis sind – nach meiner Meinung – die Strahlenbilder, die seit den 90er Jahren entstehen.
Es sind großformatige, abstrakt erscheinenden Farbmalereien, die mit röntgenologischen Aufnahmen unterlegt sind. In ihnen entdeckte Fischer eine ebenso reale wie abstrakte Darstellungsmöglichkeit für den Menschen.
Röntgenbilder – insbesondere die des Schädels – werden von den Meisten als menschliches Abbild erkannt. Zugleich sind diese Aufnahmen frei von jeglicher Wertung nach Geschlecht, Rasse, Religion oder sozialem Status. Selbst individuelle Merkmale sind für den Laien nicht erkennbar. Eine Schädelaufnahme, ist eine Schädelaufnahme und zugleich viel mehr. Sie zeigt das Behältnis unseres Gehirns, die Quelle unseres Geistes und unserer Wahrnehmung. Die Besonderheit der Aufnahmetechnik eröffnet einen geheimnisvollen, dreidimensionalen, quasi mythisch- mystischen Raum, der normalerweise unserer Anschauung verborgen bleibt.
Bernd Fischer spitzt diese Bedeutung (Ikonologie) noch zu, indem er Aufnahmen des Foramen Magnum bevorzugt – jener Durchtrittsöffnung in der Schädelbasis, in der Hirn und Rückenmark zusammentreffen und sich Körper und Geist physisch verbinden.
Zugleich stehen die Röntgenaufnahmen für eine zwar nicht sichtbare aber dennoch real existente Welt. Diese konkrete Bildwelt wird mittels Siebdrucktechnik auf die Leinwand übertragen und mit Farbe überarbeitet. Subjektive Farbwahl und individueller Malgestus verleihen den Strahlenbildern dann ihren Charakter und ihre emotionale Wirkung. Zugleich brechen sie die konkrete Figuration und den realen Bezug auf.
Über die Wüste hinaus
1999
Gedruckte und gemalte Farbe
auf Holz,
dreiteilig, 84 x 81,5 cm
Privatbesitz, Ursula König
Solchermaßen der sofortigen konkreten Zuordnung entzogen, ist der Betrachter gezwungen der Form im Farbraum nachzuspüren; sich tiefer auf das Bild einzulassen, seine Sinne zu schärfen, um zu erkennen was hinter der Malerei verborgen liegt.
In der Verbindung von Motiv, subjektiver Farbwahl und individuellem Gestus rufen diese Bilder die unterschiedlichsten Emotionen wach, die von kosmischen Assoziationen, sphärischen Farbräumen bis zu Erinnerungen an Krankheit oder gar Tod reichen können. Zugleich knüpfen diese Arbeiten auch an das in der Kunst tradierte Vanitas-Motiv an. Wie dieses fordern Fischer Strahlenbilder den Betrachter auf, über sich selbst zu reflektieren. Sie mahnen an die Vergänglichkeit des Lebens, indem sie uns mit einem Urbild – einem ‚Eikon‘ – unserer selbst konfrontieren.
1996 stellte sich Bernd Fischer einer besonderen Herausforderung, als er einen ersten Portraitauftrag annahm, dem bald weitere folgen sollten. Getreu seiner Maxime, das Verborgene sichtbar zu machen, strebt der Maler danach die versteckten Eigenarten einer Person in seinen Portraits herauszuarbeiten und kein möglichst ähnliches Abbild zu schaffen.
Aus Fotos formt er das Ausgangsmaterial. Sie werden mittels Siebdruck in verschiedenen Vergrößerungen, Auflösungen und Farben mehrfach über- und nebeneinander auf die Bildfläche gebracht. Entscheidend ist, dass die Schilderung der Person immer durch eine Serie von Bildnissen in Modulationen erfolgt. So entsteht ein Portrait aus mehreren Bildtafeln, die als Gesamtbild gesehen werden müssen, auch wenn jede einzelne Tafel für sich alleine als Bild bestehen kann.
Das Selbstbildnis von Bernd Fischer etwa, entstand aus acht Variationen eines Fotos; das 6-teilige Doppelportrait des Ehepaars Timm vereint mehrere verschiedene Fotos zweier Personen. Durch Überlagerungen und vor allem durch unterschiedliche Rasterung und Farbgebung der fotografischen Vorlagen wird in jeder Bildtafel ein jeweils anderer emotionaler Eindruck hervorgerufen. Der Zusammenschluss ergibt ein facettenreiches Portrait der dargestellten Persönlichkeit – eine Ikonographie*, ein Bergriff, mit dem man in der Antike eine Porträtsammlung von Bildern, die ein und dieselbe Person darstellten, bezeichnete.
* Das griechische Wort »Eikón« ist nicht so sehr die Bezeichnung für ein gemaltes Bild – es ist vielmehr ein geistiger Begriff, der das Ähnlichmachen ausdrückt, die Abbildung eines Lebendigen, ein Gedächtnisbild, das an Stelle eines nicht mehr vorhandenen Urbildes tritt.
Der Siebdruck
ist ein entscheidendes Gestaltungsmittel. Angeregt durch die schon erwähnte Fernsehübertragung aus dem All, suchte Bernd Fischer nach einer malerischen Umsetzung, die der gerasterten Struktur der Fernsehbilder entsprach. Er entdeckte diese im Siebdruck, da hier die Struktur des Siebes das Bildmotiv in einzelne kleinste Farbpunkte, in eine Art Raster auflöst. Je kleiner das Raster (die Punkte), umso einfacher ist es ein Bild zu rekonstruieren, je gröber das Raster, um so schwieriger die Widererkennbarkeit. Mit diesem Effekt arbeitet Bernd Fischer und entwickelte Mithilfe des Siebdrucks und der Rasterung seine spezifische Maltechnik.
Das heißt er nutzt die Siebdrucktechnik zunächst zur objektiven 1:1 Übertragung der Motivvorlagen auf den Bilduntergrund – ohne subjektive Veränderung durch die individuelle Handschrift des Künstlers.
Das „realistische“ Bildmotiv wird in einem zweiten Schritt in verschieden große Raster aufgelöst und mittels Siebdruck, in subjektiv gewählter Farbgebung, über das zuvor aufgedruckte Motiv gelegt.
Wiederkehrende Bildmotive, wie Gesichter von jungen und alten Menschen, Primaten oder radiologische Aufnahmen von Mensch und Tier werden auf diese Art und Weise in den Tafelbildern in vielfachen Varianten bearbeitet. Wie ein Forscher untersucht Bernd Fischer, wie sich unsere Wahrnehmung eines Motivs durch veränderte Farbgebung und Überlagerung verändert.
Hinzu kommen manuelle Bearbeitungen, die wie spontane, spielerische Eingriffe des Künstlers wirken und die Formen des Grundmotivs umreißen oder Details für das Auge hervorheben können.
Das Glas
Seit Ende der 90er Jahre setzt Bernd Fischer Glas als Bildträger für seine Malerei ein. Glas bewahrt jene Transparenz, die den Röntgenbildern innewohnt, gleichzeitig bekommen Farben auf Glas, durch die sich stetig verändernden Lichtverhältnisse eine wesentlich größere Brillanz und Lebendigkeit.
Gestalterisch basieren auch Fischers Glasarbeiten auf dem virtuosen Einsatz von Farbe, Rasterung und Siebdrucktechnik. Auf mehrere Bildscheiben verteilt – lassen sich mittels Verschiebung der lichtdurchlässigen Tafeln – immer neue Farb- und Formkombinationen entwickeln, ähnlich den Assoziationsmöglichkeiten unseres Geistes.
Solch eine variable Gestaltungsweise zeigen die kleinen mehrteiligen Glasarbeiten, die an der Wand oder freistehend ihren dreidimensionalen Objektcharakter betonen.
Die Motive entsprechen denen der Tafelbilder, doch was dort zwingend übereinander gedruckt und gemalt werden muss, kann hier wegen des lichtdurchlässigen Materials auf einzelne Bildtafeln verteilt werden. So sind die Bearbeitungsphasen des Bildes – quasi die Aggregatszustände des Motivs – auf verschiedene Glasplatten verteilt und können auseinander gezogen als Einzelbild oder übereinander geschoben als Gesamtbild betrachtet werden. Gleichzeitig entsteht durch die Staffelung der Bildscheiben eine reale räumliche Abfolge, ein dreidimensionaler Raum.
Anders – die als einteilige Bildtafeln konzipierten großformatigen Glasarbeiten. Sie entwickeln Raum durch eine komplexe Farbschichtung und erweitern ihre Zweidimensionalität durch die wechselnde Reflexion der Farben auf Wand und Boden.
In diesen neuren Arbeiten Bernd Fischers wird nun die Rasterstruktur zum ausschließlichen Malinstrument des Künstlers. Wie man mit einem Pinsel große oder kleine Striche ziehen kann, setzt Bernd Fischer große oder kleine Rasterstrukturen zur Gestaltung ein und beschäftigt sich verstärkt mit dem Verhältnis der dadurch entstandenen Farbpunkte und Leerflächen zueinander.
Die Widererkennbarkeit der tatsächlichen Ursprungsform der Rasterpunkte spielt kaum noch eine Rolle, vielmehr wird das Motiv durch die starke Vergrößerung und den dadurch bedingten ausschnitthaften Charakter verfremdet.
Dabei entdeckte Bernd Fischer, dass die Maximierung des Rasters – man muss sich dies, wie die Zoomfunktion beim digitalen Foto vorstellen – ab einer bestimmten Größenordnung nicht mehr den Regeln des proportionalen Verhältnisses folgt. Vielmehr kann es passieren, dass sich das Raster verselbstständigt und nicht vorhersehbare Verschiebungen entstehen – die konkrete Form löst sich auf.
Diese spontane Veränderung der eigentlich gebundenen Ordnung, greift Bernd Fischer auf und setzt ganz bewusst die strukturierte Form seines Farbrasters in ein dynamisches Spannungsfeld mit einem zufälligen, organischen Muster.
Dieses entsteht dadurch, dass Fischer die aufgedruckten Farbe (vor dem Einbrennen ins Glas) mit Wasser bespritzt oder mit wässrigem Pinsel leicht bearbeitet. Das Wasser löst die getrocknete Glasfarbe an, vermischt durch osmotische Effekte die Farbschichten und verdrängt die klar umgrenzte Rasterform. Dieser Vorgang verläuft nach eigenen Gesetzgebungen und lässt sich nur bedingt durch den Künstler kontrollieren. Kurz, der Einfluss des Wassers stört die strukturierte Ordnung des Rasterdruckes.
Fischers Gestaltungsmethoden sind vielfältig und komplex, sie untersuchen formal unsere Wahrnehmungsfähigkeit und beanspruchen inhaltlich unseren Verstand. Sie wecken Aufmerksamkeit und fordern auf, den Blick zu schärfen, die Lupe im Kopf für das zu aktivieren, was hinter dem Offensichtlichen liegt.
Ich wünsche ihnen bei der Ausstellung „anschauen“ spannende Endeckungen und neue Anregungen für ihre Sinne. Entwickeln Sie Ihre Aufmerksamkeit und üben Sie Ihre Augen.
Frankfurt, September 2006