Wegbeschreibung

Aus: „Bernd Fischer – Wortlose Erzählungen“, Katalog, Bernd Fischer, Frankfurt am Main, 1999/2000

Bernd Fischers künstlerischer Werdegang beschreibt Wege, die er zunächst nacheinander begangen hat, jedoch Anfang der 90er zu einem Ziel zu vereinen wusste. Seine handwerklich- technisch perfekte Ausstattung erwarb sich der Künstler während seines Studiums an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach, seine künstlerische Prägung in der Klasse des Bildhauers Michael Croissant an der Städelschule in Frankfurt.
Erste künstlerische Gehversuche Bernd Fischers beschäftigten sich so auch mit der Plastik. Seinem Form- und Raumgefühl hierbei gelang es, ästhetische Spannungsfelder von Energie und Tatkraft zu erzeugen. Noch während seiner Städelzeit wählte der Wirtschaftsclub Rhein-Main eine dieser Dynamik verpflichtete Arbeit als Gestaltungsmuster für den jährlich verliehenen Innovationspreis der deutschen Wirtschaft. Dennoch verließ Fischer bald schon diese rein formorientierte Arbeitsweise. Seine dreidimensionalen Arbeiten wandelten sich zu zweidimensionalen Farbträgern, scheinbar im Sinne historischer Malgründe. Aber die Asymmetrie der Flächen, deren Zerschneidung, Neuzusammensetzung und die Einfügungen additiver, oft komplementärer Darstellungen führten dies Vermutung ad absurdum – denn die Bildfläche wurde als Bildkörper verstanden.

Innovationspreis der Deutschen WirtschaftErster Innovationspreis weltweit

1979
Stahlskulptur
50 x 55 cm
Wirtschaftsclub Rhein-Main

Der Mensch, einzelne Sinnesorgane wie Hände, Ohren, Augen und immer wieder der Kopf bestimmten ganz unverkennbar den gegenständlichen Bereich seiner Werke. Innerhalb dieser Phase führte die Darstellung eines Astronauten – indem Bernd Fischer einen modernen Ikarus sah – zur Verwendung des Siebdrucks. Das durch digitale Übertragungstechnik vom Himmel auf die Erde gesendete Foto traf in digitalem Raster und in grauen Farbtönen in seine Bilder ein und löste die mit dem Pinsel ausgeführte Figur ab. Für Fischer eine Annäherung von Vortragsweise und Bildinhalt. Anders verfährt er im parallel entstandenen „Elis Fröbom“. Hier tritt eine Figur in Erscheinung, die ganz Innenwelt zu sein scheint – mit dem Pinsel in stark leuchtenden Farben gemalt. So setzt er gegen die Darstellung des eingekapselten, verhüllten sich in feindlichem Weltraum bewegenden und technisch gestützten Menschen denjenigen, der völlig in sein Inneres eintaucht und sich ganz in ein Leuchten verwandelt. Bernd Fischer bezeichnet diese Bilder als Schlüsselwerke seiner Kunst.

IkarusIkarus

1981/ 82
Fettkreide auf Karton
29 x 39 cm
Deutsche Bank, Frankfurt/Main

Fünf Jahre später führte ihn die Entwicklung der so genannten „Strahlenbilder“ zu einer nahezu völligen Hinwendung zum Siebdruck. Grundlage sind nun Röntgenbilder des menschlichen Kopfes. Ging Fischer zunächst von einer Profilansicht aus, trat an dessen Stelle 1993 die Aufnahme einer Schädelbasis. Bernd Fischers „Strahlenbilder“ erscheinen auf den ersten Blick wie abstrakte Formbewegungen. Erst bei genauerem In-Augenschein-Nehmen wird dem Betrachter bewusst, dass sie sehr wohl konkrete Bildinhalte transportieren, nämlich Einblicke in einen menschlichen Körper, die dem Betrachter seltsam vertraut werden und beklemmende Erinnerungen an persönliche Erfahrungen wecken.
In der sich aus neun Teilen zusammensetzenden Edition „Kleine Kosmologie“ erhält der Betrachter eine Sehhilfe: Acht Ausschnittvergrößerungen reihen sich um das Ausgangsmotiv der Schädelbasis, das Strahlenbild des menschlichen Kopfes. Rechteckige Markierungen beschreiben die zu sehenden Ausschnitte – das Auge beginnt zu suchen und zu finden. Der Betrachter tritt eine Reise in das Innere des Menschen an, er bewegt sich in die „Kosmologie“ eines Individuums, das er nicht kennt und das er selbst sein könnte. Und damit erhält diese Arbeit eine philosophische Dimension: Durch die künstlerische Bearbeitung eines profanen medizinischen Röntgenbildes wird dem Betrachter die Möglichkeit zur inneren Reflexion gegeben, stellt sich die Frage nach Dimensionen und Realitätsebenen.

Fischers bevorzugte Themen sind Vogel, Hand, Astronaut. So selbstverständlich das Fliegen des Vogels ist, so abhängig von der Technik macht es den Menschen. Was zunächst als Befreiung schien, wird ihm zur Fessel. Eingepackt wie in einem Kokon, muss er sich mit technischen Hilfsmitteln künstlichen Bedingungen unterwerfen, die ihn zur Mensch-Maschine Astronaut machen. Gerade die den Menschen konstituierenden physischen und psychischen Bedingungen werden verkapselt. In diesem Zusammenhang bekommt die Hand als Träger direkter Motorik, von Tastsinn und unmittelbarer menschlicher Wärme den Charakter eines Symbols für die Sehnsucht nach manuellem Gleichgewicht in einer Welt entmanualisierter Technizität. Da Technik die Ablösung der über die Hand vermittelten direkten Motorik des einzelnen menschen zur Folge hat, ist ihre zentrale Darstellung ein Zeichen für die Trauer über den Verlust an individuellen Möglichkeiten.

Bernd Fischers Bilder fordern auf geradezu sinnliche und haptische Weise zu einem Gang durch das eigene Selbst auf. Eine mutige Annahme dieser Herausforderung manifestierte sich anlässlich von Porträtaufträgen, deren Auftraggeber bewusst nicht die repräsentative Fassade, sondern das Existentielle dargestellt wissen wollten.
In seinen jüngsten Bildern verteilt Fischer die Gesamtform des Kopfmotives auf bis zu acht Bildträger. Damit erreicht er eine Potenzierung der Bezüge farblicher, formaler und inhaltlicher Aspekte. Und von weitem scheint ein Echo seiner frühen Bildtafeln zu erklingen.

Strahlenbild Ausstellungsfoto (links)Strahlenbild

(Bild links:) 1991
Schellack / Kasein / Maraplast D
auf Holz
160 x 70 cm
Privatbesitz
(Ausstellungsfoto: „Alles Traum“,
1995, Galerie von der Milwe)

 
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